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Teil 2 - Hermann Brunner-Schwer erzählt in der "Ich"-Form:

Und er erzählt natürlich die historischen Gegebenheiten aus seiner (SABA-) Sicht und mit seinem Wissen. In die einzelnen Geschichten werden jetzt eine Menge zusätzlicher Informationen aus anderen großen Werken glaubwürdiger Autoren eingebaut.

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Liquiditätsprobleme in Sicht - Mit dem Rücken zur Wand

Ich erinnerte mich an frühere Kontakte zu Telefunken. Ausgangspunkt waren rein technische Überlegungen gewesen. Es wurde damals schon deutlich, daß sich die Entwicklung neuer und zukunftsweisender Technologien auch im Bereich der Unterhaltungselektronik mehr und mehr in die Forschungslaboratorien der großen Bauelemente-Hersteller verlagerte. Der dort betriebene Aufwand bewegte sich aber in Größenordnungen, die von einem Privatunternehmen wie SABA niemals hätten finanziert werden können. Je stärker sich dieser Trend durchsetzte, umso kleiner wurden die Freiräume für die Gestaltung eigener technischer Konzepte. Ein reiner Gerätehersteller wie SABA geriet so in eine zunehmende technische, aber auch wirtschaftliche Abhängigkeit von der zuliefernden Bauteile-Industrie.

Verhandlungen mit Telefunken im Frühjahr 1964

Die Verhandlungen hatten im Frühjahr 1964 begonnen und sich über mehrere Monate hingezogen. Im Grundsatz waren wir uns einig. Wir strebten eine enge technische Zusammenarbeit mit Telefunken an, um an den Ergebnissen der dortigen Bauelemente-Forschung zum frühestmöglichen Zeitpunkt teilhaben zu können. Als Gegenleistung boten wir Telefunken an, SABAs Bedarf an Bauelementen zukünftig nur noch von ihnen zu beziehen. Wir gingen sogar noch weiter und erklärten uns bereit, vorerst keine eigenen Farbfernsehgeräte zu fabrizieren, sondern zunächst einmal die bei Telefunken hergestellten Chassis für unseren Eigenbedarf zu verwenden. Das paßte unseren Ingenieuren zwar überhaupt nicht in den Kram, doch mir ging Sicherheit vor Image.

Telefunken wollte damals beteiligt werden

Daß die Verhandlungen schließlich doch im Sand verliefen, lag daran, daß Telefunken plötzlich beteiligt werden wollte. Die Konzernleitung meinte, daß ein Vertrag allein nicht ausreichend wäre, um die anvisierte Zusammenarbeit zum Tragen zu bringen, und machte ihre Unterschrift vom Erwerb einer Beteiligung an SABA abhängig. Zehn Prozent würden bereits genügen. Dazu noch einen Sitz im Aufsichtsrat, das sei doch wirklich nicht zu viel verlangt.

Daher also wehte der Wind, dachte ich. So undramatisch dieses Ansinnen auf den ersten Blick auch aussah, Telefunken hätte den Fuß in die SABA-Tür gesetzt und sich als Gesellschafter das Recht nehmen können, Einblick in die Bücher zu verlangen. Das ging uns zu weit. Wir lehnten ab, die Verlobung war zunächst einmal geplatzt.

Das alles war 1964 gewesen - jetzt hatten wir 1966

Doch nun, knapp zwei Jahre später, stand unser Unternehmen angesichts der Farbfernseh-Katastrophe vor einer völlig anderen Situation. Wir baten Telefunken erneut um technische Hilfe und rangen uns unter dem sanften Druck der Deutschen Bank dazu durch, eine Minderheitsbeteiligung zu akzeptieren.
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Der Gang nach Canossa fiel mir unendlich schwer ...

.... denn jetzt saßen die Konzernherren auf dem hohen Roß. Und so war es auch. Ihre Forderungen glichen einem Ultimatum: Telefunken übernimmt bei SABA die technische Federführung und beteiligt sich mit einer Sperrminorität von 26 am Stammkapital der SAKA-GmbH. Die Bänker begrüßten diese Wendung auf das wärmste. „Etwas Besseres kann Ihnen doch gar nicht passieren", bedeutete man uns, „mit diesem starken Partner im Rücken bleibt Ihnen nicht nur die Eigenständigkeit erhalten, mit ihm kaufen Sie sich auch eine Eintrittskarte in die technologische Zukunft."

Anmerkung : HBS konnte nicht ahnen, daß eigentlich die Banken, allen voran die Deutsche Bank - verdeckt - die Krakenarme ausgestreckt hatten. Denn Telefunken war damals schon hoffnungslos "unterkapitalisiert", wie in den 1990er Jahren nach dem Konkurs der AEG herauskam. Telefunken wurde trotz des PAL Lizenz-Erfolges nur noch von den Banken mühsam am Leben erhalten.

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Telefunkens Schachzug war wirklich durchsichtig und faul

Von wegen. Weil bei SABA Gesellschafterbeschlüsse nur mit einer Dreiviertel-Mehrheit gefaßt werden durften, hätte der neue Gesellschafter alle ihm nicht genehmen Beschlüsse torpedieren können. Aber noch schlimmer: Weder meine Mutter noch mein Bruder noch ich waren betucht genug, um bei einer Kapitalerhöhung mitzuziehen.
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Anmerkung : Das ist der einem studierten Betriebswirtschaftler überaus geläufige üble Trick, auf ganz legale Tour lästige oder unfolgsame Gesellschafter durch die Hintertür in die Ecke zu schieben "und den Laden mit geringstem Aufwand zu übernehmen".


Und die stand früher oder später ins Haus. Dadurch hätte sich Telefunken, quasi durch die Hintertüre, die Mehrheit an SABA verschafft, ohne auch nur eine müde Mark für den Good-Will des Unternehmens bezahlen zu müssen.

Es gab Technikprobleme - Es folgten zermürbende Wochen.

Ich zermarterte mir den Kopf und kämpfte gegen Depressionen an. Selbstzweifel quälten mich. Was habe ich falsch gemacht? Es hatte doch alles so gut ausgesehen. Noch vor wenigen Monaten war SABA kurz vor dem Gipfel eines triumphalen Erfolges gestanden. Und jetzt dieser Absturz. Aber was hätte ich schon anderes tun können, als den Ingenieuren zu vertrauen, daß sie die Farbfernsehtechnik im Griff hätten und außer den üblichen Anlaufschwierigkeiten keinerlei Probleme zu erwarten seien?

Mein Bruder Hansjörg war sichtlich verletzt

Äußerte ich Zweifel, so stellte sich mein Bruder mit dem Gewicht seines gleichberechtigten Mitbesitzes vor seine Techniker und verbat sich jegliche Einmischung: Ich solle mich nicht um Dinge kümmern, von denen ich nichts verstünde.

Fatale Folgen aus den Fehlern der Vergangenheit

Die Wurzel des Übels lag weit zurück. Wenn schon früh verfügt wird, daß sich zwei gleichberechtigte Erben die Macht teilen sollen, ist das eine Entscheidung, die sich nur in den seltensten Fällen als gut erweist. Das Ganze wird vor allem dann kritisch, wenn die Entscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen wird, in dem man sich weder über die Fähigkeiten noch über die charakterlichen Eigenschaften der oder des Auserwählten ein einigermaßen erkennbares Bild machen kann. Wenn ein Privatunternehmer seine Nachfolge regelt, so muß er dafür sorgen, daß nur einer das Sagen haben darf. Dieser eine kann aber nur dann ein Mitglied der Inhaber-Familie sein, wenn er mindestens dieselben Qualifikationen aufweist wie die beste Spitzenkraft auf dem freien Markt. Erfüllt er diese Voraussetzung nicht, so hat er seinen Führungsanspruch verwirkt und muß sich mit der passiven Rolle eines Gesellschafters begnügen. Das ist leichter gesagt als getan, aber trotzdem unbedingt nötig. Traditionen dürften keine Rolle spielen, wenn es um den Fortbestand eines Unternehmens geht.

Der Familienrat tagte fast ununterbrochen.

Die Gefühle überschlugen sich, und oft genug fiel es schwer, zu einer sachlichen Beurteilung der Lage zurückzufinden. Bruder Hansjörg empörte sich über die von den Telefunken-Herren als „barock" beurteilte SABA-Technik und über deren Anmaßung, ihm die technische Geschäftsführung aus der Hand nehmen zu wollen. Er drohte mit seinem Rücktritt und warf mir im gleichen Atemzug vor, das Desaster verschuldet zu haben. „Du mit deiner Vertriebsreform, du hast viel zu sehr auf den Großhandel gebaut, und der läßt uns jetzt am Seil runter." Daß er dabei Ursache und Wirkung verwechselte, wollte er nicht begreifen.

Unser Mutter als Festung in der Schlacht

Einmal mehr bewährte sich meine Mutter als Festung in der Schlacht. Nie verlor sie ihre Fassung. „Ihr denkt viel zu egoistisch", ermahnte sie uns. „Wir haben keinen wirklichen Besitzanspruch, unsere Väter gründeten dieses Unternehmen und brachten es auf den richtigen Weg. Aber SABA ist eben nicht das Werk einzelner, in ihr steckt die Arbeit Tausender von Menschen, und auch sie haben ein Recht auf die Sicherung ihrer Existenz. Dieser Verantwortung könnt Ihr Euch nicht entziehen, jetzt müßt Ihr Farbe bekennen und eigene Interessen denen des Unternehmens unterordnen." Wir beschlossen, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, um Zeit zu gewinnen.

Bitter : Banken sehen nur ihre eigenen Interessen

Doch Telefunken und damit die Deutsche Bank spielten Doppelpaß und drückten aufs Tempo. Die Gespräche mit anderen Großbanken verliefen ergebnislos. Man wolle in dieser Angelegenheit nicht mit der Deutschen Bank konkurrieren, ließ man uns höflich aber entschieden wissen.

Ich erinnerte mich an Philips.

Der Kontakt war schnell wiederhergestellt. Präsident Le Clercq empfing meinen Bruder und mich sofort. Wir legten die Karten offen auf den Tisch. „Sie dürfen sich nicht erpressen lassen", meinte der schlaue Holländer. „Da habe ich für Sie eine elegantere, vor allem aber viel bessere Lösung parat." Sein Angebot überzeugte uns tatsächlich: Eine diskrete Minderheitsbeteiligung an SABA über eine in der Schweiz ansässige, von Philips beherrschte, aber unter neutralem Namen firmierende Holding. Wir sollten uns verpflichten, nur noch Philips-Bauelemente einzukaufen, würden uns dafür aber den großen Vorzug einhandeln, an den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des Multis zu partizipieren. Im übrigen wolle man bei SABA alles beim alten lassen. Man lege sogar größten Wert darauf, bedeckt zu bleiben. Eine kluge Politik, die Philips auch mit verdeckten Beteiligungen an anderen Geräte-Herstellern mit Erfolg durchzog.

(War das nicht Loewe ?) Philips kaufte 1962, nach dem Tod des Firmengründers Siegmund Loewe, mit Hilfe von Tarnfirmen 100% der Aktien. 
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Das Liquiditästproblem schien mit Philips gelöst

Erleichtert kehrten wir nach Villingen zurück. Kein Zweifel, die Philips-Offerte kam unseren Interessen weit mehr entgegen als das, was Telefunken mit SABA im Schilde führte. Wir beschlossen aber, mit Telefunken in Kontakt zu bleiben. Wir wollten die Verhandlungen nicht abbrechen, bevor die Verträge mit Philips nicht unter Dach und Fach waren. Während sich unsere Finanzexperten mit denen von Telefunken über Bewertungsfragen stritten, kamen die mit Philips unter strengster Geheimhaltung geführten Gespräche schnell voran.

Wir fuhren zur Unterschrift nach Stuttgart

Der Vertragsabschluß sollte in einem Raum des Stuttgarter Flughafengebäudes stattfinden. Die Philips-Delegation saß bereits am Tisch, als wir das Zimmer betraten. Ich fühlte sofort, daß irgend etwas nicht stimmte. Die Herren aus Holland begrüßten uns mit verlegenen Gesichtern.
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Was war geschehen? Wir wurden ausgetrickst .... wie im Krimi

Dann sprach der Verhandlungsführer mit belegter Stimme und eröffnete uns, daß zu seinem größten Bedauern eine unvorhergesehene Entwicklung eingetreten sei, die Philips gezwungen hätte, von der beabsichtigten Vertragsunterzeichnung Abstand zu nehmen. Mir gefror das Blut in den Adern. Irgend jemand mußte Wind bekommen und die Holländer unter Druck gesetzt haben. Was wurde da gespielt? Wer war es, der hinter den Kulissen Regie führte und uns in eine Ecke hineinmanövrieren wollte, aus der es kein Entrinnen mehr gab?

Das Telefunken Ultimatum bis 31. Dezember 1967

Das Jahr ging zu Ende, und noch immer standen wir mit dem Rücken an der Wand. Bei Telefunken war man sich inzwischen so sicher, den SABA-Fisch an der Angel zu haben, daß man uns ein Ultimatum stellte und das Angebot auf den 31. Dezember 1967 befristete. Die Zeit lief uns buchstäblich davon. Unter dem Druck der Situation unterbreiteten wir Telefunken ein Gegenangebot. Um wenigstens den über viele Jahrzehnte gewachsenen Ruf des Namens SABA nicht zu verschenken - und das wäre bei der Abgabe einer Sperrminorität passiert -, offerierten wir Telefunken eine Beteiligung von 51% am SABA-Stammkapital zusammen mit der Option, die restlichen 49% nach Ablauf einer Fünfjahresfrist zu einem festgeschriebenen Preis zu übernehmen.

Die nächste Pokerrunde begann.

Wieder setzten sich die Rechenkünstler beider Häuser zusammen und feilschten. Die beiderseitigen Vorstellungen über den Kaufpreis lagen weit auseinander. Der Ringkampf dauerte Wochen. Wir nutzten die Zeit und beauftragten einen für SABA in den USA tägigen Gewährsmann, Kontakt mit RCA aufzunehmen. Und schon saßen sie im Flugzeug, hochrangige Manager der Radio Corporation of America. Sie stellten sich als sehr angenehme Verhandlungspartner heraus, unkomplizierte Burschen, auf einen schnellen Deal bedacht. Drei Tage lang gingen wir mit ihnen über die Bücher. Dann flogen sie wieder nach New York zurück. „No problem", meinten sie beim Abschied, „die Sache sieht gut aus, Sie werden in Kürze von uns hören."

Der Krimi geht weiter - Telefunken ändert die Strategie

Wir hörten nichts mehr von ihnen. Dafür aber von Telefunken. Dort passierten merkwürdige Dinge. Urplötzlich eröffnete man uns, Telefunken würde nur 50 Prozent der zur Diskussion stehenden SABA-Anteile offiziell in Besitz nehmen. Die andere Hälfte wolle man zunächst einmal bei der Deutschen Bank „parkieren". Ich bestand auf einer Erklärung. Man wäre eben kooperationsfreudig, lautete die undurchsichtige Antwort. Möglicherweise sei ein dem Konzern nahestehender Dritter am Kauf von SABA-Anteilen nicht uninteressiert. Bei mir leuchteten alle roten Lampen auf. Wer denn dieser ominöse Dritte sei? „Darüber dürfen wir Ihnen leider keine Angaben machen".

Anmerkung : Wie man bei Firmenübernahmen, vor allem bei feindlichen Übernahmen, immer wieder mitbekommt, spielen die Banken viel zu oft ein falsches trügerisches Spiel. Sie setzen ihre Interessen mit Macht und Geld und ihren Verbindungen durch. Vermutlich sollte der damals schon blutarme und marode Telefunken Konzern nichts Werthaltiges mehr in sein Portfolio bekommen. Hauptgläubiger von Telefunken war nämlich die Deutsche Bank (mit weit über 6 Milliarden Schulden + die Milliarden Schulden der AEG !!! ).

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Kochend vor Wut über das allzu durchsichtige Pokerspiel

Nach diesem Gespräch in der Frankfurter AEG-Telefunken-Zentrale fuhren wir im Schneeregen wieder in den Schwarzwald zurück. Wir redeten kaum. Ich kochte vor Wut. Man hatte uns zum Spielball eines perfiden Manövers gemacht. Man wollte uns weichkochen, einem großen Unbekannten gefällig sein und ihm SABA zum Fraß vorwerfen in der Hoffnung, auch ein paar Brocken davon abzubekommen.

Die Karten sollten auf den Tisch .... Ein Anruf aus Fürth ...

Am nächsten Tag ließen wir die Gegenseite wissen, daß wir nur dann zu weiteren Verhandlungen bereit seien, wenn man uns den Namen der dritten Partei nennen würde. Ich ahnte, wer es sein könnte, und diese Ahnung erwies sich schon wenige Stunden später als richtig. Anruf aus Fürth: Max Grundig erwarte mich umgehend, Treffpunkt eine Suite im Münchner Hotel Vier Jahreszeiten.

„Maxe" ließ also die Maske fallen.

Er war es, der das Netz gesponnen hatte, der Telefunken vor seinen Karren gespannt hatte, der bei Philips interveniert hatte und jeden unserer Schritte von willfährigen Informanten überwachen ließ. Kein anderer sollte sich des Namens SABA bemächtigen dürfen. Er und nur er wollte von dieser Edelmarke Besitz ergreifen, die ihm als Konkurrent schon immer ein Dorn im Auge war.

Eigentlich war das hier meine Feuertaufe gewesen

Die Swissair DC9 befand sich auf der Luftstraße Green 4 und näherte sich dem Funkfeuer Kempten. Ich saß auf einem Fensterplatz und versuchte mich zu entspannen. Wie gut ich diese Strecke kannte. Viele Male war ich sie selbst geflogen. Vor Jahren hätte es mich hier beinahe erwischt. Ich war in ein schweres Gewitter geraten, konnte nicht mehr ausweichen und befand mich plötzlich im Inferno. Der Totentanz hatte nur wenige Minuten gedauert, Minuten aber, die mir wohl ewig in Erinnerung bleiben. Das Flugzeug war zum Spielball gigantischer Kräfte geworden. Einmal stieg es wie ein Fahrstuhl nach oben, um Sekunden später wie ein Stein wieder nach unten zu stürzen. Ein Feuerwerk von Blitzen hatte mich eingehüllt und meine Augen geblendet. Die Instrumente hatten verrückt gespielt. Ich sah sie nur noch verschwommen. Funk- und Radio-Navigation waren ausgefallen, und ich hatte jegliche Orientierung verloren. Die Beechcraft war herumgewirbelt worden wie ein Blatt im einen Orkan. Sekundenlang hatte ich schwerelos in den Gurten gehangen, die Steuerruder sprachen nicht mehr an. Ich hatte Todesangst gehabt damals und jeden Moment mit dem Zerplatzen des Flugzeugs gerechnet. Doch dann hatte mich das Gewitter wieder ausgespuckt. Ich war noch einmal davongekommen.

Da war doch mal .... der Besuch eines Amerikaners ....

Diesmal flog ich nicht selbst nach München. Ich war zu nervös und übernächtigt, um mich mit der gebotenen Fitness hinter den Steuerknüppel eines Hugzeugs zu setzen. Es war spät geworden am Abend zuvor. Wir hatten diskutiert und überlegt, hatten nach einer letzten Chance gesucht, Grundigs Absichten zu durchkreuzen. Da hatte uns doch jemand besucht, erinnerten wir uns, Anfang des Jahres, ein gewisser Bryers. Er war der Vizepräsident der Firma Sylvania, einer Tochtergesellschaft von GTE (General Telephone & Electronics,) einem US-Multi.

Damals war der Mister etwas zu "amerikanisch" ....

Bryers war damals sehr forsch aufgetreten, zu forsch, wie wir meinten, denn er hatte auf jede Vorrede verzichtet und war sofort zur Sache gekommen. GTE habe sich entschlossen, auf dem europäischen Fernsehmarkt Fuß zu fassen. Obwohl sich sein Konzern in erster Linie mit Produkten aus der Nachrichtentechnik beschäftige, so zähle er in den USA mit der Marke Sylvania doch zu den führenden Herstellern von Farbfernsehgeräten und Farbbildröhren.

Außerdem besäße GTE dank eigener Forschungslaboratorien einen beachtlichen technologischen Vorsprung, und dies ganz besonders auf dem Gebiet der integrierten Schaltungen, die die Farbfernsehgerätetechnik schon in naher Zukunft revolutionieren würden. Da Eile geboten sei, hatte Bryers ausgeführt, wolle man sich nicht mit dem zeitraubenden Bau einer europäischen Produktionsstätte aufhalten, sondern die Mehrheit an einem großen europäischen Geräte-Hersteller erwerben. Und da SABA seine erste Wahl wäre, sei er jetzt hier.

Auch die Amerikaner pokern gerne

So ganz stimmte diese Version allerdings nicht. Ich wußte, daß Sylvania in Belgien bereits ein hochmodernes und sündhaft teures Werk zur Fabrikation von Farbfernsehröhren errichtet hatte. Allerdings hatte man schon bei der Planung einen gravierenden Fehler begangen. Es gab nämlich so gut wie keine Abnehmer für den amerikanischen Newcomer. Von einigen Ausnahmen abgesehen - und SABA war eine davon -, befanden sich alle großen Geräte-Hersteller in festen Händen, gehörten zu europäischen Konzernen, die ihre Bildröhren in eigener Regie bauten. Sylvania also lief Gefahr, viele Millionen Dollar in den Sand gesetzt zu haben und sah nur noch einen einzigen Ausweg: Kauf eines Geräte-Produzenten, dessen Röhrenbedarf die Mindestauslastung der neuen Fabrik garantierte. Deshalb und nur deshalb hatte Bryers bei uns angeklopft.

Anmerkung : SABA baute anfänglich Telefunken Bildröhren und Telefunken Peripherie-Technik in seine Farbfernseher ein.

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Vielleicht wäre aber GTE der rettende "Engel" ?

Vor ein paar Jahren hatten wir ein entsprechendes Angebot von GTE abgelehnt. Doch jetzt erschien es uns wie der rettende Engel. Während ich zu Grundig nach München flog, telefonierte mein Bruder mit unserem amerikanischen Gewährsmann und beauftragte ihn, sich unverzüglich mit der GTE-Spitze in Verbindung zu setzen und SABAs Verhandlungsbereitschaft zu erklären.

Max Grundig glaubte, nicht mehr pokern zu müssen

Nach der Landung in München setzte ich mich in ein Taxi und ließ mich zum Hotel Vier Jahreszeiten bringen. Münchens Straßen strahlten im vorweihnachtlichen Glanz, doch weihnachtlich war mir weiß Gott nicht zumute. Ich kam mir vor wie auf dem Gang zum Henker.

Und der wartete bereits auf mich. Als ich die Hotel-Suite betrat, saß Max Grundig an einem großen Konferenztisch, umgeben von Leuten seines Stabes. Er begrüßte mich frostig, forderte mich auf Platz zu nehmen und ergriff sofort das Wort. Aber wie er das tat! Schon nach seinen ersten Sätzen begriff ich, um was es hier ging. Nicht um eine Verhandlung, nicht um einen fairen Dialog. Grundig wähnte sich als Sieger und diktierte dem Unterlegenen seine Bedingungen, kompromiß- und gnadenlos.

  • „Nehmen Sie hiermit zur Kenntnis, Herr Brunner-Schwer", so begann das Verdikt, „daß Sie zu meinem Angebot keine Alternative haben. Dafür habe ich gesorgt. Mir sind all ihre bisherigen Gespräche bekannt, auch die mit Philips und auch mit RCA. Ich bin der größte Abnehmer von Bauelementen in Europa, und schon aus diesem Grund wird es keiner meiner Lieferanten wagen, meine Pläne zu durchkreuzen. So, und jetzt hören Sie genau zu. Ich übernehme SABA und bestimme, was dort geschieht.

    Ihre Grundstücke und Fabrikgebäude können Sie behalten, an denen bin ich nicht interessiert. Ich pachte das Villinger Areal einschließlich des Maschinenparks und zahle Ihnen dafür einen anständigen Preis. Pachtdauer sieben Jahre, dann wird man weitersehen. Das Werk in Friedrichshafen will ich nicht. Besprechen Sie das mit Ihrer Familie und sagen sie ihr, daß kein Weg mehr an mir vorbeiführt".

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Warum wußte Max Grundig alles - das mußte ich ändern

Warteraum Flughafen München-Riem, noch gute zwei Stunden zum Rückflug nach Zürich. Ich saß in einer Ecke und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Was ich soeben erlebt hatte, glich einem schlechten Film, mit dem machtgierigen, über Leichen gehenden Industrie-Magnaten als Bösewicht. Doch hier wurde kein Schmierentheater aufgeführt. Das war knallharte Wirklichkeit. Der Dr. h.c. Grundig hatte nackte wirtschaftliche Gewalt demonstriert.

Der Mann hatte uns regelrecht eingemauert und kein Schlupfloch mehr offen gelassen. Was hatte er wohl den Telefunken-Bossen alles versprochen, damit sie ihm das Schlachtopfer SABA ans Messer lieferten? Und besaß dieser Napoleon der Unterhaltungselektronik tatsächlich so viel Macht, um selbst die Amerikaner abzublocken? Fragen über Fragen.

Ich stutzte. Ob Grundig wohl auch GTE-Sylvania in sein Ränkespiel miteinbezogen hatte? Oder könnte es doch noch möglich sein, daß er diese Gruppe als potenten Nebenbuhler gar nicht in Betracht gezogen hatte?

Und wieder wie im Krimi - Ich war wie elektrisiert ....

Richtig, Grundig hatte diesen Namen nicht erwähnt. Ich raste ans nächste Telefon, berichtete meinem Bruder in Stichworten und fragte, ob er schon Nachricht aus Amerika habe. „Unser Mann ist auf dem Weg nach New York, er hat bereits einen Besprechungstermin bei GTE und wird uns morgen informieren."

„Sage keinem im Haus darüber auch nur ein Wort", antwortete ich. „Wenn ich zurück bin, werde ich Dir alles erklären."

Eigentlich hatte uns Max Grundig in die Arme der Amerikaner getrieben
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