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Teil 1 - Hermann Brunner-Schwer erzählt in der "Ich"-Form:

Und er erzählt natürlich die historischen Gegebenheiten aus seiner (SABA-) Sicht und mit seinem Wissen. In die einzelnen Geschichten werden jetzt eine Menge zusätzlicher Informationen aus anderen großen Werken glaubwürdiger Autoren eingebaut.

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April 1945 - Der Krieg war zwar vorbei - aber ......
Und jetzt kamen die langen Monate der Isolation

Was sich nach der Kapitulation des deutschen Reiches im eigenen Land, in Europa und der übrigen Welt ereignete, blieb den Menschen in meiner Heimatstadt weitgehend verborgen. Zeitungen gab es keine, Rundfunkmeldungen konnten nicht empfangen werde, Post, Bahn und Telefon funktionieren nicht mehr. Diese Isolation hielt über viele Monate an. Bekanntmachungen und Verhaltensanweisungen an die Bevölkerung wurden an Anschlagtafeln ausgehängt. In besonders dringenden Fällen fuhr auch mal ein Lautsprecherwagen durch die Straßen der Stadt.

Ausganssperren über Monate

Die strengen Ausgangsbestimmungen blieben noch lange nach dem Ende der Kampfhandlungen bestehen. Kein Deutscher durfte ohne Sondergenehmigung zwischen 19 und 8 Uhr morgens außer Haus sein. Wer sich tagsüber blicken ließ, mußte im Besitz gültiger Personalausweise sein und am linken Arm eine weiße Binde tragen. Parteimitglieder hatten diese Binde mit drei schwarzen senkrechten Streifen zu versehen. Menschenansammlungen von mehr als drei Personen galten als strafbare Zusammenrottungen.

Und wieder spielten sich "Mitbürger" in den Vordergrund

Seltsame Leute spielten plötzlich eine Hauptrolle. Es soll da eine Widerstandsbewegung gegeben haben, die in Villingen während der letzten Kriegsjahre gegen den Nationalsozialismus gekämpft habe. Allerdings, niemand wußte etwas davon. Es gab auch keinerlei Anzeichen für Aktivitäten im Untergrund, was immer man darunter verstehen mag. Doch als die Franzosen einmarschierten, spielten sich ein paar Leute in den Vordergrund. Sie gaben sich als Kämpfer gegen die Nazis zu erkennen und fanden Gehör.

Mit Einwilligung der französischen Kommandatur verhaftete diese Gruppe so ziemlich alle Personen, die nicht nur in der Partei eine Rolle gespielt, sondern auch in der Wirtschaft und im öffentlichen Leben Einfluß gehabt hatten.

Im Gefängnis saßen jetzt "die Anderen"

Villingens Gefängnis platzte schon nach wenigen Tagen aus allen Nähten. Also mußte die Knabenschule als Internierungslager herhalten, mit Stacheldraht umgeben und von marokkanischen Soldaten bewacht.

Parallel zu dieser Strafaktion schwang die französische Gendarmerie ihr Zepter. Sie nahm sich der besonders verdächtigen Delinquenten an und steckte sie nach nicht immer zimperlich verlaufenen Verhören in das ehemalige Kriegsgefangenenlager.

Nahezu vierhundert Villinger Bürger saßen monatelang hinter Schloß und Riegel. Viele von ihnen erfuhren nie den Grund und wurden, ohne jemals vernommen zu werden, irgendwann einmal wieder in die Freiheit entlassen.

Neid, Eifersucht oder persönliche Aversionen

Denunziationen waren ein besonders dunkles Kapitel nicht nur in Villingens Nachkriegsgeschichte. Neid, Eifersucht oder ganz einfach persönliche Aversionen setzten sich über die primitivsten Regeln des Zusammenlebens hinweg. Die Anschwärzungen waren mitunter so gemein, daß der französische Stadtgouverneur die anonym abgefaßten Anzeigen angewidert in den Papierkorb warf.

Im Vergleich ging es uns nicht schlecht

Verglichen mit dem Elend in den Großstädten und Flüchtlingslagern ging es den Menschen in meiner Heimatstadt aber gar nicht so schlecht. Schon wenige Wochen nach dem französischen Einmarsch übernahm ein Capitaine namens Robert das Amt eines Militärgouverneurs. Er war ein Mann, der als ehemaliger Bürgermeister einer französischen Gemeinde den Umgang mit kommunalen Problemen kannte.

Anmerkung : Dieser letzte Absatz ist sicher erst viel später eingefügt worden, denn damals 1945/46 konnte sich in der Provinz niemand das Ausmaß vom Zustand in Dresden oder Berlin oder Hamburg auch nur annähernd vorstellen.

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Die Villa unserer Oma - requiriert

Auf der Suche nach einer seiner Position angemessenen Behausung fiel das Auge des Gouverneurs auf die Villa meiner verstorbenen Großmutter. Der Räumungsbefehl ließ nicht lange auf sich warten. Die Bewohner, Verwandte und Bekannte unserer Familie, die sich vor dem Bombenterror nach Villingen geflüchtet hatten, mußten nach Hause zurückkehren oder sich etwas anderes in der Nähe suchen.

Das Haus der Scherbs - unser Haus - requiriert

Aber: der Gouverneur wollte die Offiziere des Militärkommandos in seiner Nähe wissen. Also fiel auch unser Haus der Beschlagnahme zum Opfer. Sie gaben uns genau zwei Stunden Zeit, um das Notwendigste zusammenzupacken und zu verschwinden. Aber wohin? Hoffnungslos, irgendwo in der Stadt eine Bleibe zu finden. 6000 Flüchtlinge hielten sich schon seit Monaten in Villingen auf. Da blieb kein Quadratmeter Wohnraum mehr übrig.

Doch meine Mutter behielt die Nerven und erwies sich einmal mehr als Fels in der Brandung. Sie ordnete an, daß alles, was man uns mitnehmen ließ, zunächst in die Werkskantine geschafft werden sollte. Dann würde man weitersehen.

Uns allen verblieb die alte SABA Werkskantine

Das Kantinengebäude lag am Rand des Werksgeländes, direkt neben dem Kriegsgefangenenlager, und wies zum Glück keine Bombenschäden auf. Das alte Gemäuer beherbergte früher eine kleine Nudelfabrik, und als diese pleite ging, kaufte SABA den Komplex. Man benutzte das meiste davon als Lager und verwandelte den Rest in eine Art Gästekantine. Es gab da eine Küche, einen Aufenthaltsraum, ein größeres Eßzimmer und jede Mengen Toiletten.

Der erzwungene Umzug

Die unmittelbare Nähe des Gefangenenlagers brachte es mit sich, daß die Räume zu den ersten Objekten der Plünderungen gehört hatten, und entsprechend sahen sie auch aus. Zunächsten mußten wir ein paar Russen vertreiben, die sich dort trotz des Durcheinanders eingenistet hatten. Dann begann die Schlepperei. Als Transportfahrzeug stand nur ein kleiner Leiterwagen zur Verfügung. Doch es kam unerwartete Hilfe.

Ein zufällig anwesender Werksangehöriger rannte los und trommelte ein gutes Dutzend seiner Kollegen zusammen. Während die einen in der Kantine aufräumten und sauber machten, schwärmten die anderen in unserem Haus aus, schraubten Schränke und Betten auseinander, stemmten Schubladen mit Geschirr, Lebensmittel oder Wäsche ins Freie, hingen Bilder ab und rollten Teppiche zusammen, und zwar in solcher Eile, daß es den dabei stehenden Franzosen zunächst einmal die Sprache verschlug. Dann aber geboten sie Einhalt. Den Offizieren sollten sie Annehmlichkeiten einer luxuriös eingerichteten Villa ja erhalten bleiben.

Das meiste blieb zurück - und verschwand

Immerhin, wenn auch einige der schon geretteten Utensilien wieder zurückgebracht werden mußten, der notwendigste Hausrat schien jedenfalls geborgen. Aber das meiste blieb eben doch zurück. Antike Möbel, wertvolles Geschirr, Perserteppiche, das Silber und vieles andere mehr - das alles sollten wir nie mehr wiedersehen.

Ein Provisorium - für 8 lange Jahre

Wir richteten uns in der neuen und sehr engen Umgebung ein, so gut es eben ging. Unsere Helfer teilten den Eßraum mit einer schnell zusammengenagelten Bretterwand, damit wenigstens meine Mutter ein eigenes Zimmer hatte. Dr. Meyer-Oldenburg quartierte sich in einem winzigen Nebenraum ein, in dem gerade genügend Platz für ein schmales Bett und einen kleinen Schrank war. Wir hofften natürlich, daß dies nur ein Provisorium werden würde. Daß es allerdings acht Jahre dauern sollte, bis wir wieder in unser Haus zurückkehren durften, hätte damals keiner von uns auch nur im Traum gedacht.

Gedanken - von Haß bis zum Verstehen

Ich ertappte mich bei haßerfüllten Gedanken, stand wütend vor dem kümmerlichen Rest unserer Habe und vergaß über meinem Zorn den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Die Franzosen taten ja nichts anderes, als uns die Rechnung für die Demütigungen zu präsentieren, die ihnen zugefügt worden waren.

Unsere Mutter war ein Schatz

Als sich der Abend dieses bösen Samstags vor Pfingsten näherte, sah die ungastliche Stätte nicht mehr ganz so trostlos aus, und einmal mehr bewunderte ich das Geschick meiner Mutter. Auf einem hübsch gedeckten Tisch bewirtete sie unsere freiwilligen Helfer. Sie machte (Anmerkung : mit ihren vermutlich 40 Jahren) einen unbeschwerten, fast heiteren Eindruck. Und eine auf uns alle übergreifende Kraft ging von ihr aus.

Nur als sie sich für die spontane Hilfe bei den Werksangehörigen bedankte, kämpfte sie für einen Augenblick mit den Tränen. Dann bat sie die Männer, doch rechtzeitig vor Beginn der nächtlichen Ausgangssperre nach Hause zu gehen. Denn wer danach noch auf der Straße erwischt wurde, wanderte unweigerlich hinter Schloß und Riegel.

Die liebevolle Chefin bekam ihren Dank

Doch die Sabanesen weigerten sich. „Wir bleiben bei Ihnen", sagte einer von ihnen, „Ihr seid hier völlig schutzlos, die von den Plünderern zertrümmerte Eingangstür kann nicht abgeschlossen werden und außerdem, einige der ehemaligen Kriegsgefangenen haben den Umzug mit Argusaugen beobachtet und werden sich mit Sicherheit bedienen wollen".

Sie blieben, in dieser Nacht und in den Nächten darauf. Jeder von ihnen hatte sich mit einem Holzknüppel bewaffnet, und während wir schliefen, vertrieben sie sich die Zeit mit Dauerskat. Erst als die Schlösser repariert waren und der Besuch ungebetener Gäste weniger wahrscheinlich wurde, konnten wir sie dazu bewegen, die Nachtwache aufzugeben.

Hier ein paar Namen von denen, die uns halfen

An einige dieser aufrechten und hilfsbereiten Menschen erinnere ich mich so gut, als wäre es gestern gewesen: Fritz Grüniger zum Beispiel. Er hatte die Schlosserei unter sich und war seit über zwanzig Jahren schon bei SABA. Sein Gesicht war entstellt, die Ohren verstümmelt, Folgen einer im Ersten Weltkrieg erlittenen Gasvergiftung. Oder Eugen Mauch, der Elektriker, ein stets zu Spaßen aufgelegter Villinger, wohlbeleibt, trotz der seit Jahren rationierten Lebensmittel. Paul und Karl Eigeldinger, Brüder und beide Schreiner von Beruf. Beide waren klein, Berserker, geregelte Arbeitszeiten kannten sie nicht. Ihren Feierabend bestimmten sie selbst.

Oft kamen sie nicht vor Mitternacht aus der Werkstatt, Überstunden aufgeschrieben hatten sie nie. Oder Karl Rinderknecht, ein Werkzeugmacher, Sozialist und Gewerkschaftsleiter auch während des Dritten Reichs. Jahre später wählte ihn die Belegschaft zum Vorsitzenden des Betriebsrats, und auch in dieser Position verhielt er sich fair und berücksichtigte die Interessen des Unternehmens wie die seiner Kollegen.

Es gab noch viele andere vom selben Schlag, damals und in den Jahren des Wiederaufbaus. Für sie bedeutete SABA nicht irgendein Job. Für sie war SABA Lebensinhalt und Existenz zugleich.

Die Demontage in Vilingen begann

Inzwischen hatte sich in Villingen eines der sogenannten „Centre de Recuperation" etabliert. Diese mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteten Dienststellen handelten im Auftrag der Alliierten Kommission. Sie begannen, die Demontage der Industriebetriebe in die Wege zu leiten, die still gelegt worden waren. SABA zählte dazu. Das Werk wurde beschlagnahmt und ein absolutes Fabrikationsverbot für Rundfunkgeräte erlassen. Jede Zuwiderhandlung konnte mit dem Tod bestraft werden.
Dann begann die Demontage. Kolonnen französischer Militärlastwagen rollten auf den Fabrikhof. Alle Maschinen, Produktionseinrichtungen, Apparate und Prüfgeräte, die der Zerstörung entgangen waren, wurden aufgeladen und nach Frankreich gebracht. Die Ausräumung der Fabrik zog sich über viele Wochen hin. Sie erfolgte so gründlich, daß schließlich nur noch die Maschinen übrigblieben, die unter den Trümmern begraben waren.

Fast wie im wilden Westen

Im Erdgeschoß eines der weitgehend verschont gebliebenen Fabrikgebäude richtete das französische Militär eine große Werkstatt für die Instandsetzung ihrer Fahrzeuge ein. Deutsche Kriegsgefangene, die man in das ehemalige Fremdarbeiterlager sperrte, mußten eine meterhohe Palisadenwand um dieses Gebäude errichten. Das Bauwerk glich einem Befestigungswerk aus der Zeit des Wilden Westens. Wir kamen uns vor wie Indianer. Und so wurden wir auch manchmal behandelt.

Jetzt war SABA tot - nach unserem Gefühl

Dem Unternehmen war die Existenzgrundlage entzogen worden. SABA, vor dem Krieg einer der bedeutendsten Anbieter auf dem europäischen Rundfunkgerätemarkt, sollte keine Chance mehr haben dürfen, wieder in den Wettbewerb einzugreifen. Eine berühmte Marke wurde mit einem Federstrich eliminiert, und jeder Gedanke an den Wiederaufbau schien reine Illusion.

Vergebens warteten wir auf die Begründung dieses Todesurteils. Was, um alles in der Welt, hatten Radioapparate mit Gegenständen für den militärischen Bedarf zu tun? Man verdächtigte SABA, an der Entwicklung und Herstellung geheimer Waffen beteiligt gewesen zu sein. Mehrfach kamen in den ersten Tagen und Wochen nach der Besetzung Delegationen ins Werk, bestehend aus amerikanischen, französischen und russischen Offizieren, darunter auch Fachleute der französischen Rundfunkindustrie. Sie suchten nach Beweisen, durchforschten die Kellerräume nach verborgenen Produktionsstätten oder Labors, doch sie fanden nichts. Sie konnten gar nichts finden, weil es nichts zu finden gab.

Erst Jahre später kam die Wahrheit an den Tag. Es war die Lobby der französischen Rundfunkindustrie bei der Alliierten Kommission, der wir Produktionsverbot und Demontage zu vedanken hatten. Eine nicht gerade feine Art, sich einen lästigen Konkurrenten vom Halse zu schaffen.

  • Anmerkung : Diese Ansicht von Herrn Brunner-Schwer kann ich nicht teilen, denn unsere deutschen Soldaten haben (hatten) in Frankreich gar meisterhaft gewütet. Und jetzt hatten wir den angezettelten Krieg verloren, haushoch verloren. Da gab es keine feine englische Art mehr.

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Nach der Bombardierung erst die Demontage und dann das Produktionsverbot

Verzweifelt und zur Tatenlosigkeit verurteilt, mußten wir zusehen, wie das Unternehmen buchstäblich liquidiert wurde. Zuerst die Bombardierung, dann die Demontage und das Produktionsverbot - von einer einstmals stolzen SABA, dem bedeutendsten Industriebetrieb der Region, war nur noch ein Torso übrig geblieben. Wer hätte intervenieren können und bei wem? Meiner Mutter wie auch den leitenden Angestellten waren die Hände gebunden. Ein Teil von ihnen saß noch immer im Gefängnis. Als Parteimitglieder fielen sie unter die im Potsdamer Abkommen enthaltene Bestimmung, daß Angehörige der nationalsozialistischen Partei aus den öffentlichen oder halböffentlichen Ämtern und von den verantwortlichen Posten in wichtigen Privatunternehmen entfernt werden mußten.

Testamentsvollstrecker Daniel Goebel - immer noch ein loyaler Freund der Familie

Als endlich ein Lebenszeichen von Daniel Goebel, dem Testamentsvollstrecker, kam, schöpfte meine Mutter neuen Mut. Goebel, der den Nazis kritisch gegenüber gestanden und deshalb ihrer Partei auch nicht beigetreten war, lebte in Baden-Baden, also in der Stadt, in der sich das Hauptquartier der französischen Besatzungsmacht befand. Doch seine Verhandlungsversuche blieben zunächst ohne Erfolg.

In einem Brief schrieb Goebel unter anderem:

„Ich habe hier schon einige Male versucht, mit den höchsten französischen Stellen in Verbindung zu kommen, hatte auch schon verschiedene Besprechungen mit maßgeblichen Herren, wobei sich aber immer wieder zeigte, daß bei den Besatzungstruppen und Behörden noch kein klares Bild darüber besteht, was sie eigentlich wirtschaftlich mit unserer Zone vorhaben. Der Eindruck wechselt sehr, manchmal glaubt man den Willen zu einer Zusammenarbeit zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft herauszuspüren, dann aber kommen wieder Eindrücke, die in die gegenteilige Richtung gehen. Das eine scheint festzustehen: Vor den französischen Wahlen wird wohl nichts Entscheidendes geschehen. Die zivilen Stellen hier glauben, daß dann der militärische Apparat zurückgedrängt wird und ein vernünftiges Zusammenarbeiten einsetzt".

Dr. MO wurde der Beauftragte der Inhaberfamilie

Daniel Goebel folgte einem Vorschlag meiner Mutter und bestimmte Dr. Meyer-Oldenburg zum Beauftragten der Inhaberfamilie. Eine sehr nützliche Entscheidung. Dem Doktor aus Berlin lastete keine politische Vergangenheit an.

Er besaß französische Spachkenntnisse und war in Villingen ein unbeschriebenes Blatt. So gab es wenigstens jemanden, der SABAs Interessen gegenüber den örtlichen Besatzungs-Instanzen vertreten und zur Sprache bringen konnte.
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Ein erster Lichtblick

Dem neuen SABA-Beauftragten gelang schon bald ein erster Erfolg. Er überzeugte den Gouverneur von den gesundheitsschädlichen Risiken, denen die diensttuenden französischen Soldaten im Werk durch die zerstörte Kanalisation ausgesetzt waren. Tatsächlich standen immer noch einige Kellerräume unter Wasser, das sich im Laufe der Zeit in eine übelriechende Jauche verwandelt hatte. So wurde einer Gruppe von zwanzig Arbeitern schließlich erlaubt, das Fabrikgelände zu betreten, um erste Reparaturen und Aufräumungsarbeiten in Angriff zu nehmen. Mein Bruder und ich gehörten dazu.
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Wichtig war der „Laissez-Passer", ein Passierschein

Wir erhielten den „Laissez-Passer", einen Passierschein, und gingen an die Arbeit. Stets befanden sich französische Soldaten in der Nähe. Sie beobachteten uns mißtrauisch. Wir kamen uns vor wie Sträflinge.

Die Arbeiten gingen nur langsam voran. Was konnte man in dieser Trümmerstätte mit zwanzig Mann auch schon ausrichten. Eigentlich waren es nur achtzehn, denn meinen Bruder und mich konnte man allenfalls als Handlanger betrachten.
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So gut wie alles bereits verrostet

Gerätschaften und Werkzeug fehlten an allen Ecken und Enden. Die Männer standen bis zu den Hüften im Schlamm, schaufelten Gräben, um das Wasser abzuleiten, und versuchten, zerbrochene Rohre abzudichten. Als es endlich gelang, die demolierte Motorspritze aus dem inzwischen ebenfalls mit Wasser vollgelaufenen Bombentrichter zu ziehen, sie notdürftig wieder instandzusetzen und ein paar Liter Benzin aufzutreiben, konnte mit dem Auspumpen der überfluteten Kellerräume begonnen werden. Die Enttäuschung war groß, als wir feststellen mußten, daß dem dort gelagerten, sehr wertvollen Material das wochenlange Wasserbad schlecht bekommen war. Es war schrottreif, von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Ein Dach musste wieder drauf

Nächste Priorität hatte das dachlos gewordene Verwaltungsgebäude. Da kein Material aufzutreiben war, suchte man sich geeignete Bretter aus den Trümmern zusammen, schnitt sie zu, so gut es ging, und nagelte sie auf die noch verbliebenen Dachsparren.

Wir wußten, was unter dem Schutt lag - und schwiegen

An die unter den Schuttmassen begrabenen Maschinen machten wir uns erst gar nicht heran. Die sollten dort solange liegen bleiben, bis sicher war, daß mit weiteren Demontageaktionen der Franzosen nicht mehr gerechnet werden mußte. Erst dann wollte man sie bergen und reparieren.

Immerhin, es befanden sich so wertvolle Dinge wie Stanzen, Revolverautomaten, Fräs- und Bohrmaschinen, Drehbänke oder Kunststoffpressen im Bombengrab. Konnte wenigstens ein Teil davon wieder in Gang gebracht werden, so wäre damit wenigstens ein erster Grundstein für die Herstellung von mechanischen Produkten gelegt.
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Ein Einsehen bei dem Franzosen

Nach einigen Wochen begann auch der Militärgouverneur einzusehen, daß die zwanzigköpfige Entrümpelungstruppe dem Umfang der anstehenden Aufräumungsarbeiten nicht gewachsen sein konnte. So sehr sich die Männer auch bemühten, sie kamen einfach nicht vom Fleck. Schritt für Schritt durften wir die Mannschaft verstärken, bis im Herbst schließlich an die hundert Sabanesen im Einsatz waren. Die Franzosen genehmigten darüberhinaus eine beschränkte Freigabe der gesperrten SABA-Konten. Wie sonst hätte man die Arbeiter bezahlen können?

Ein neuer Anfang mit einem uralten Lastwagen

An einer Verladerampe stand seit dem Bombenangriff noch immer der letzte, von der Requisition verschont gebliebene Lastwagen auf platten Reifen, Führerhaus und Motorhaube von Bombensplittern arg zerbeult. Da das Vehikel nur mit dem eingebauten Holzvergaser betrieben werden konnte, ließen die Besatzer die Finger davon und hatten auch gegen eine Instandsetzung nichts einzuwenden. Als der Motor nach mühevollen Wiederbelebungsversuchen erste Töne von sich gab, freuten wir uns wie die Schneekönige. Das Gefährt war goldwert, leistete gute Dienste und wurde von seinem Fahrer Heinrich Wahl wie sein eigener Augapfel behütet.

Auf einmal mußte der Stadtwald abgeholzt werden

Plötzlich, im Frühsommer, mußten die Arbeiten unterbrochen werden. Statt Bombentrichter aufzufüllen, Schuttberge abzutragen oder zerbrochene Fensterscheiben durch Bretter zu ersetzen, befahl man uns, im Villinger Stadtwald anzutreten und Bäume zu fällen. Für den Winterbedarf der Bevölkerung, so dachten wir. Weit gefehlt. -
Schlagreifes Holz galt neben Kohle, Maschinen und Industrieanlagen zu den bevorzugten Gütern, die dem von den Alliierten befohlenen „Zwangsexport" unterlagen. Ohne Rücksicht auf ökologische Folgen und die drohende Verkarstung fielen ganze Waldgebiete Axt und Säge zum Opfer. Während im Schwarzwald vor dem Krieg höchstens 1,8 Millionen Festmeter geschlagen werden durften, stieg diese Zahl 1946 bereits auf fünf und nur ein Jahr später sogar auf sieben Millionen Festmeter.

Unsere Mutter baute uns ein kleines Zuhause

Daß wir uns in der Notwohnung schon nach wenigen Wochen wohlfühlten, war einzig und allein dem Geschick meiner Mutter zu verdanken. Sie entwickelte ein geradezu erstaunliches Improvisationsvermögen. Sie verwandelte die nüchterne SABA-Kantine mit dem wenigen, was uns die "Hausbesetzer" gelassen hatten, in ein richtiges Zuhause.

Anmerkung: Man hört hier immer noch den Tonfall eines ungläubigen Kriegsverlierers heraus, der von den gleichen Aktionen der Deutschen in ganz Frankreich und vor allem in Paris so gut wie nie etwas mitbekommen hatte. Doch diese Aufzeichnungen hatte HBS um und nach 1980 geschrieben.

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Noch ein Schatz - eine alte Badewanne

Als es ihr schließlich noch gelang, eine alte Badewanne aufzutreiben, gehörte auch der hygienische Notstand der Vergangenheit an. Wir plazierten das antike Stück in einer Nische der Kantinenküche und hingen einen zusammengeflickten Vorhang davor. Das Einfüllen wie auch das Ablassen des Wassers konnte zwar nur mit Hilfe eines Gartenschlauches bewerkstelligt werden. Doch auch an diesen Umstand gewöhnte man sich genauso wie an den Verzicht auf viele andere Annehmlichkeiten vergangener Zeiten.

Die französischen Militärstreifen nahme keine Rücksicht

Der Nachbarschaft des jetzt mit deutschen Soldaten und politischen Häftlingen belegten Gefangenenlagers verdankten wir mehrere Besuche französischer Militärstreifen. Immer, wenn es einem der Gefangenen gelang zu „stiften", verdächtigte man uns der Mithilfe. Dann kamen sie wütend anmarschiert, meistens in der Nacht. Sie hämmerten mit ihren Gewehrkolben an die Haustür, jagten uns aus den Federn und kehrten das Oberste zuunterst.

Jede Menge Siegesfeiern - mit riesigen Sauforgien

Siegesfeiern gab es viele in jenen Tagen und Wochen. Die beschlagnahmte Villa mit ihrem großen Garten betrachteten die Offiziere als besonders geeignet für solche Anlässe. Unter den Bäumen zimmerten deutsche Kriegsgefangene einen Tanzboden, auf den eine große Hakenkreuzfahne gelegt und festgenagelt werden mußte. Manchmal schlich ich mich an den Gartenzaun und sah zu. Die Feste endeten jedesmal mit einer orgiastischen Sauferei. Für mich ein deprimierendes Schauspiel, und das nicht nur deshalb, weil sich deutsche Frauen und Mädchen daran beteiligten.

Der wirklich Tag der Abrechnung - die Wahrheit

Das bei weitem deprimierendste aber geschah, als die Villinger Bevölkerung gezwungen wurde, sich unter militärischer Bewachung in das „Theater am Ring" zu begeben, dem größten Kino der Stadt. Als die Alliierten auf ihrem Vormarsch die Überlebenden der Konzentrationslager befreiten, filmten ihre Kriegsberichterstatter ein Szenarium des Grauens, das selbst das perverseste Vorstellungsvermögen übertraf. Daraus war ein Dokumentarfilm entstanden. Er zeigte das entsetzlichste von Deutschen begangene Verbrechen. Ein Verbrechen, zu dem es in der Menschheitsgeschichte, wie ich meine, keine auch nur annähernde Parallele gibt.

Es wurde angeordnet, daß sich die deutsche Bevölkerung diesen Film anzusehen hatte, um zu erkennen, welche Scheußlichkeiten in ihrem Namen und mit ihrem Dulden über Jahre hinweg begangen worden waren.

Jeder mußte es ansehen: "Ein Szenarium des Grauen"

Was wir auf der Leinwand, auf der bislang Zarah Leander oder Marika Rökk sangen und tanzten, zu sehen bekamen, führte bei den meisten Zuschauern zu schockartigen Reaktionen. Viele hielten sich die Hände vor die Augen, andere brachen in Weinkrämpfe aus, wieder andere schrien: „Aufhören, das alles ist eine Lüge, ein Machwerk Hollywoods, zu so etwas Entsetzlichem sind Deutsche gar nicht fähig!"

Mir selbst wurde kotzübel. Der Anblick riesiger Leichenberge, die zu Skeletten abgemagerten Körper nackter Männer, Frauen und Kinder, die Sterbenden, die Verbrennungsöfen, die Gaskammern, der Massenmord - das alles war von einer nicht zu beschreibenden Ungeheuerlichkeit.

Wie betäubt verließen die Menschen schließlich das Kino. Keiner sah dem anderen in die Augen. Man schwieg und ging nach Hause, beladen mit dem erdrückenden Gefühl einer großen Schuld. Das also war die Folge des blinden, kritiklosen Vertrauens in ein Regime der Unmenschlichkeit.

Ein neues Gemeinschaftdenken kam auf

Viele Bekannte besuchten uns damals. Auch solche, mit denen wir sonst nur wenig Kontakt hatten. In Zeiten der Ungewißheit und Not rücken die Menschen näher zusammen. Die Hilfsbereitschaft wächst. Man teilt sich mit, sucht oder gibt Trost und Rat.

Das Beispiel von Herrn Knönagel und seiner Frau

Da gab es zum Beispiel einen Herrn Knönagel. Er arbeitete als kaufmännischer Angestellter bei SABA. Durch eine im ersten Weltkrieg erlittene schwere Verwundung war er stark gehbehindert. Seiner Frau, einer Volljüdin, rettete dieser Umstand das Leben. Da sich ihr Mann ohne fremde Hilfe kaum bewegen konnte, hatten die Nazis ein Einsehen. Die Abhängigkeit des Kriegsinvaliden von der täglichen Fürsorge ersparte seiner Frau den Weg in ein KZ. Ich begegnete den beiden während der Kriegsjahre oft auf ihrem Weg in die Fabrik. Frau Knönagel stützte ihren Mann mit dem rechten Arm, während sie versuchte, mit ihrer Handtasche den gelben Judenstern auf der linken Seite ihres Mantels zu verdecken.

Schon bald nach dem Einmarsch der Franzosen bot uns das Ehepaar Knönagel Hilfe an: Es war der Fürsprache einer Jüdin zu verdanken, daß meine Mutter von der Internierung verschont blieb.

In Triberg öffnete die Schwarzwaldschule

Der erste Nachkriegssommer ging vorüber, und noch immer fand an Villingens Schulen kein Unterricht statt. Zum Teil dienten die Schulen als Unterkunft für französische Soldaten. In anderen wiederum saßen die festgenommenen Nazi-Verdächtigen der Stadt. In Triberg dagegen öffnete die Schwarzwaldschule wieder, ein bekanntes Internat, das auch externe Schüler unterrichtete. Also beschloß meine Mutter das Ende meiner Laufbahn als Trümmerjunge und schickte mich dorthin. Wohnen konnte ich bei meiner Tante Paula. Über das Wochenende fuhr ich mit einem der wenigen und deshalb stets überfüllten Eisenbahnzüge nach Villingen.

Mit diesen Erlebnissen zurück auf die Schulbank

Der Weg zurück auf die Schulbank fiel mir schwer. Der Wechsel von den Ereignissen der letzten Monate zurück in die Normalität des schulischen Alltags war zu abrupt. Allerdings hatte sich die Atmosphäre, vor allem aber das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern merklich verändert. Den meisten in meiner Klasse, der Obersekunda, erging es ähnlich wie mir. Noch standen uns die schlimmen Kriegserlebnisse vor Augen. Und die zu bewältigen fiel den einstigen Kindersoldaten Hitlers sehr viel schwerer als den Erwachsenen. Die jüngeren, ebenfalls aus dem Krieg heimgekehrten Lehrer hatten Verständnis für unsere Orientierungsprobleme und behandelten uns mit einer fast kameradschaftlichen Toleranz.

Von den Professoren und Studienräten

Bei den älteren Professoren und Studienräten dagegen verspürte man so etwas wie ängstliches Mißtrauen. Folge eines schlechten Gewissens? Kaum einer, der nicht der Nazi-Partei angehört hatte. Sie alle hatten noch vor kurzer Zeit als willige Handlanger der nationalsozialistischen Erziehungspolitik agiert. Vor Äußerungen oder Stellungnahmen zur jüngsten deutschen Vergangenheit drückten sich diese Herren, wo sie nur konnten. Stattdessen verschanzten sie sich kritiklos hinter den neuen, von den französischen Besatzungsbehörden verordneten Lehrplänen.

Es gab nicht anderes, also wollten wir lernen

Doch ihre Autorität stand nur noch auf dem Papier. Wir ließen uns weder disziplinieren noch irgendwelche Schikanen gefallen. Nicht, daß wir durch unser Verhalten den Schulbetrieb boykottieren wollten oder desinteressiert gewesen wären. Im Gegenteil. Jeder hatte nur ein Ziel vor Augen, nämlich möglichst viel zu lernen, Versäumtes nachzuholen und ein gutes Abitur "zu bauen". Ich glaube, nie zuvor wurde an deutschen Schulen so ernsthaft und intensiv gearbeitet wie in jenen ersten Jahren nach dem Krieg. Das hatte viele Gründe.

Und Schmalhans war Küchenmeister

Schmalhans war damals Küchenmeister, und das in jeder Beziehung. Vergnügungen oder Ablenkungen welcher Art auch immer gab es so gut wie keine. Das Freizeitangebot beschränkte sich auf den wöchentlichen Kinobesuch. Im Sommer ging es bei gutem Wetter in die Badeanstalt, und im Winter stapfte man auf alten Brettern durch den Schnee. Die Ferien spielten sich zu Hause ab. Irgendwo hinfahren oder gar ins Ausland reisen, das konnten wir nur in unseren Träumen.

Auch die Perspektive fehlte uns

Keiner wußte so recht, wie es nach der Schule weitergehen sollte. Die Ungewißheit über die Zukunft plagte jeden von uns. Vielleicht hatten die Siegermächte irgendwann ein Einsehen und würden den Deutschen ein Leben ermöglichen, das sie wieder selbst bestimmen und gestalten könnten. Dazu aber brauchte man eine von der Vergangenheit unbelastete Jugend. Darin bestand unsere einzige Chance. Wir waren keine besseren Schüler als die von heute, denen die Welt so offensteht wie nie zuvor. Doch wir befanden uns ganz unten. Und dort wollten wir nicht bleiben.

Frankreich setzte die Maßstäbe

Die neuen Lehrpläne an den Oberschulen und Gymnasien in der französischen Besatzungszone mußten an das in Frankreich praktizierte Schul- und Benotungssystem angepaßt werden. Französisch wurde zum wichtigsten Pflichtfach. Die in dieser Fremdsprache beim Abitur verlangten Leistungen setzten einen neunjährigen Ausbildungsstand voraus. Dies aber hieß für uns Obersekundaner nichts anderes, als in der Zeit bis zum Abitur den Stoff von sechs Unterrichtsjahren nachzuholen.

Das Interesse an Politik war ausgelöscht

Was zu dieser Zeit in der Welt geschah, war mir gleichgültig. Das unrühmliche Ende der Hitler-Ära, der Schock der totalen Niederlage, vor allem aber die Erkenntnis, eines vermeintlichen Ideals nicht nur beraubt, sondern von einer hochgepriesenen Weltanschauung bitter getäuscht worden zu sein, hatte in mir jedes Interesse an Politik ausgelöscht. Und so wie es mir erging, ging es vielen Altersgenossen. Wir begannen, den Erwachsenen und deren Vorbildfunktion zu mißtrauen.

Am 8. September 1945 - eine erste Zeitung

Sept. 1945 - Daß man über Monate hinweg weder Rundfunkmeldungen empfangen konnte noch Zeitungen zu lesen bekam, störte mich nicht. Im Gegenteil. Als endlich am 8. September 1945 eine erste Zeitung erschien, nämlich der „Südkurier", las ich das nur wenige Seiten umfassende Blatt mit größter Skepsis. Was konnte dies schon anders sein als zensierte Informationen der französischen Besatzungsmacht.

Da war die Rede von den Ursachen der japanischen Niederlage, von der Atombombe. Abgedruckt wurde eine Erklärung des Kontrollrates über die alliierte Verwaltung in Deutschland sowie befehlsartige Bekanntmachungen an die deutsche Bevölkerung in der französischen Besatzungszone. So zum Beispiel Verordnungen des französischen Oberkommandos in Deutschland über die Sperre und Beaufsichtigung deutscher Vermögen, über die Einsparung von Strom, über das strikte Ausreiseverbot in die englisch, amerikanisch und russisch besetzten Zonen und ähnliches mehr.

Dr. Hugo Eckener - den Namen kannten wir doch

Stutzig wurde ich allerdings bei dem Namen Dr. Hugo Eckener, einem der Herausgeber des in Konstanz am Bodensee sitzenden Südkurier.

Eckener war ein Mann, dessen Name schon zu seinen Lebzeiten Legende war. Er war es, der nach dem Ersten Weltkrieg das Lebenswerk des 1917 verstorbenen Grafen Zeppelin fortgesetzt hatte und der deutschen Luftschiffahrt trotz größter Schwierigkeiten schon in den zwanziger Jahren zur Weltgeltung verhalf. 1929 hatte Eckener mit dem Luftschiff LZ 127 selbst einmal die Erde umfahren. Eine fliegerische Leistung, die mit Charles Lindberghs erstem Atlantikflug in einem Atemzug genannt wurde. Ein Jahr später war er mit demselben Luftschiff von Friedrichshafen nach Südamerika und von dort aus in die Vereinigten Staaten von Amerika gereist. 1931 hatte er den Nordpol überquert und eine Fülle bislang unbekannter meteorologischer Daten zurückgebracht. Eckener bewies mit seinen bahnbrechenden Flügen die Zuverlässigkeit des Luftschiffes als dem modernsten und schnellsten Langstreckentransporter seiner Zeit, mit dem er schließlich den transatlantischen Luftverkehr eröffnete. Bis zur Katastrophe von Lakehurst, bei dem am 6. Mai 1937 das Luftschiff LZ-„Hindenburg" beim Landeanflug verbrannte, überquerten Tausende von Passagieren den Atlantik mit Zeppelinen und genossen einen Reisekomfort, der dem eines Luxusdampfers entsprach.

Dr. Eckener war weltweit hoch angesehen

Dr. Eckeners bahnrechenden Leistungen wurde überall in der Welt größte Hochachtung entgegengebracht. Die New Yorker Bevölkerung bejubelte den Luftfahrtpionier und bereitete ihm ein prachtvolles Konfettifest. Die amerikanischen Präsidenten Hoover und Roosevelt empfingen ihn im Weißen Haus. Henry Ford bewunderte den Deutschen genauso wie der japanische Kaiser Hirohito, der ihn in seinen Palast einlud. Die italienische Zeitung „Corriere della Serra" wählte Eckener zum berühmtesten Mann des Jahres 1929.

In Deutschland selbst genoß der Luftschiffkapitän die Popularität eines Nationalhelden. Als es 1932 darum ging, einen Nachfolger für den damals schon 85jährigen Reichspräsidenten von Hindenburg zu wählen und Adolf Hitler seine Ansprüche auf dieses Amt anmeldete, nominierten die Sozialdemokraten Dr. Hugo Eckener als Gegenkandidaten. Doch Hindenburg stellte sich trotz seines Greisenalters zur Wiederwahl. Was Eckener dazu veranlaßte, seine Kandidatur zurückzuziehen.

Nachträgliche Spekulationen - was wäre wenn ....

Was wäre wohl geschehen, wenn der neue Reichspräsident Hugo Eckener geheißten hätte? Eine spekulative Frage. Sicher ist zumindest, daß sich der liberal denkende Demokrat Eckener den Machtansprüchen Hitlers energischer entgegengestellt hätte, als es Hindenburg dann getan hat. Vielleicht wurde zu jenem Zeitpunkt die letzte Chance vertan, Hitlers Diktatur zu verhindern und die Weimarer Republik zu retten.

Die braunen Machthaber hatten Eckeners Kandidatur gegen Hitler genausowenig verziehen wie seine offen bekundete Abneigung gegen die Nazis. Zwar wagten sie es nicht, den populären Mann öffentlich zu verfolgen. Doch als seine beiden Luftschiffe bei Kriegsbeginn auf Befehl Görings zerstört werden mußten, befahl Goebbels den Medien, Eckeners Name von nun an totzuschweigen.

Jetzt also trat er wieder vor die Öffentlichkeit, meldete sich nach Jahren der Isolation wieder zu Wort. Das beeindruckte mich doch so, daß ich den „Südkurier" trotz aller Vorbehalte regelmäßig zu lesen begann. Das Blatt kostete 20 Pfennige und erschien zunächst nur zweimal in der Woche.

Oktober 1945 - Robert Bosch in Stuttgart arbeitet wieder

Am 5. Oktober 1945 meldete der „Südkurier" die Wiederaufnahme der Arbeit beim Stuttgarter Großunternehmen Robert Bosch. Ich traute meinen Augen nicht. Wurde da mit zweierlei Maß gemessen? Ganz im Gegensatz zu SABA hatte sich Bosch schon vor Ausbruch des Krieges massiv an Hitlers Aufrüstung beteiligt und durfte dennoch wieder mit der Produktion beginnen. Stuttgart lag allerdings in der von den Amerikanern besetzten Zone. Dort schien man die Potsdamer Beschlüsse wie die Kontrollratsgesetze ganz offensichtlich großzügiger auszulegen, als es die Franzosen taten.

Und jetzt kehren wir wieder zurück ans Ende des Abschnittes mit den Rüstungsgeschäften
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